16.03.12: Neuregelung der Organspende – Erste Beratung im Deutschen Bundestag über Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung am 22.03.12

16.03.12: Neuregelung der Organspende – Erste Beratung im Deutschen Bundestag über Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung am 22.03.12

ergänzt am 25.03.12 mit einer Nachbetrachtung der Bundestagsdebatte

Illustration zur Bundestagdebatte über OrganspenderegelungDer Deutsche Bundestag berät am 22.03.12 in erster Lesung über einen Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung bei Organspenden, zusammen mit einem bereits seit Oktober 2011 vorliegenden weiteren Gesetzentwurf zur Änderung des Transplantationsgesetzes (Drucksache 17/7376), mit dem eine EU-Richtlinie umgesetzt werden soll.

Die Beratungen beginnen laut Parlaments-Tagesordnung zur 168. Sitzung um 9.00 Uhr. Für die Aussprache, die online auf der Webseite des Bundestages übertragen wird, sind zwei Stunden vorgesehen.

Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie will die Bundesregierung unter anderem die Rahmenbedingungen für Organspenden verbessern, z.B. durch Einführung von Transplantationsbeauftragten an allen Kliniken. Organisatorische Mängel in den Krankenhäusern werden mit als eine Hauptursache für zu wenige zur Verfügung stehende Organspender gesehen.

Entscheidungslösung statt Zustimmungslösung

Der Gesetzentwurf zur Regelung der Entscheidungslösung, auf den sich die Spitzen aller Bundestagsfraktionen Anfang März geeinigt hatten, der bislang aber noch nicht offiziell abrufbar ist (Stand 19.03.12) und für den noch Abgeordnetenunterschriften gesammelt werden, sieht vor, dass die bislang geltende erweiterte Zustimmungslösung in eine Entscheidungslösung umgewandelt wird (siehe dazu das Themenspecial vom 04.03.12 unten: Einigung unter Fraktionsvorsitzenden für Entscheidungslösung).

Konkret sollen künftig alle Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren regelmäßig von ihren Krankenkassen per Post angeschrieben, über die Organspende informiert und zur Abgabe einer Erklärung dazu aufgefordert werden. Erstmalig soll dies schon in diesem Jahr geschehen, ein weiteres Mal in zwei Jahren. Nach der Aufforderung im Jahr 2017 alle fünf Jahre.

Bild GesetzentwurfDarüber hinaus sollen die Behörden bei der Ausgabe von amtlichen Ausweisen wie zum Beispiel Reisepass oder Führerschein Informationen zur Organspende ausgeben. Zudem sollen die technischen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für eine Speicherung der Entscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte geschaffen werden. Gegen diesen Punkt regt sich wegen Bedenken beim Datenschutz bereits Widerstand bei den Grünen. Sie wollen dazu einen Änderungsantrag vorlegen.

Probleme und Ziele

Im Gesetzentwurf, der der InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik vorliegt, heißt es in der Einführung über Probleme und Ziele:

„Ziel der Einführung der Entscheidungslösung, verbunden mit einer Erweiterung der Verpflichtungen der Behörden, Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen, ist die Förderung der Organspendebereitschaft, um mehr Menschen die Chance zu geben, ein lebensrettendes Organ erhalten zu können. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) belegt, dass Menschen, die gut informiert sind, eher einen Organspendeausweis ausfüllen und der Organspende positiv gegenüberstehen. Mit den vorgeschlagenen Regelungen zur Einführung der Entscheidungslösung soll der bestehende Abstand zwischen der hohen Organspendebereitschaft in der Bevölkerung (rund 75 Prozent) und dem tatsächlich dokumentierten Willen zur Organspende (Rund 25 Prozent) verringert werden, ohne die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen durch eine Erklärungspflicht einzuschränken.“

Eine Pflicht, eine Erklärung abzugeben, soll es jedoch nicht geben. Diesbezüglich wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Angehörigen dann entscheiden sollen.

„Umfassende Aufklärung“ – aber ohne Hirntoddebatte

Im Gesetzentwurf wird festgelegt, dass im Zuge der Entscheidungsfrage eine umfassende Aufklärung erfolgen soll. Konkret heißt es dazu in dem Papier:

    "(1) Die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die Bundesbehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit, insbesondere die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, sowie die Krankenkassen sollen auf der Grundlage dieses Gesetzes die Bevölkerung aufklären über

    1. die Möglichkeiten der Organ- und Gewebespende,
    2. die Voraussetzungen der Organ- und Gewebeentnahme bei toten Spendern einschließlich der Bedeutung einer zu Lebzeiten abgegebenen Erklärung zur Organ- und Gewebespende, auch im Verhältnis zu einer Patientenverfügung, und der Rechtsfolge einer unterlassenen Erklärung im Hinblick auf das Entscheidungsrecht der nächsten Angehörigen nach § 4 sowie,
    3. die Bedeutung der Organ- und Gewebeübertragung im Hinblick auf den für kranke Menschen möglichen Nutzen einer medizinischen Anwendung von Organen und Geweben einschließlich von aus Geweben hergestellten Arzneimitteln.

    Die Aufklärung hat die gesamte Tragweite der Entscheidung zu umfassen und muss ergebnisoffen sein. Die in Satz 1 benannten Stellen sollen auch Ausweise für die Erklärung zur Organ- und Gewebespende (Organspendeausweis) zusammen mit geeigneten Aufklärungsunterlagen bereithalten und der Bevölkerung zur Verfügung stellen. Bund und Länder stellen sicher, dass den für die Ausstellung und die Ausgabe von amtlichen Ausweisdokumenten zuständigen Stellen des Bundes und der Länder Organspendeausweise zusammen mit geeigneten Aufklärungsunterlagen zur Verfügung stehen und dass diese bei der Ausgabe der Ausweisdokumente dem Empfänger des Ausweisdokuments einen Organspendeausweis zusammen mit geeigneten Aufklärungsunterlagen aushändigen."

Keine Rede von Hirntod

Bemerkenswert ist, dass im ganzen Text des Gesetzentwurfs nicht einmal von hirntoten Spendern die Rede ist, sondern lediglich von „toten Spendern“. Seit einigen Jahren wird jedoch die Kritik lauter, dass der Hirntod nicht der Tod des Menschen ist, sondern ein Prozess im Sterben. Auch wird seit Jahren kritisiert, dass die Aufklärung der zuständigen Informationsstellen wie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) einseitig pro Organspende ist.

Die Initiative „Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. (KAO)“ forderte daher kürzlich in einem Offenen Brief an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert zur Organspenderegelung eine ehrliche und umfassende Information im Organspenderausweis, ähnlich wie bei einem Patientenaufklärungsformular. Darin solle dargelegt werden, dass ein neuer Todesbegriff, der sogenannte Hirntod, eingeführt wurde, um „Organentnahmen bei lebendigem Leib“ zu ermöglichen.

Ethikrat-Forum zu Hirntod und Organentnahme

Einen Tag vor den Bundestagsberatungen veranstaltet der Deutsche Ethikrat am Mittwoch, den 21. März ab 18.00 Uhr in Berlin ein „Forum Bioethik“ zum Thema „Hirntod und Organentnahme. Gibt es neue Erkenntnisse zum Ende des menschlichen Lebens?“ Der Ethikrat möchte dabei die Öffentlichkeit über die aktuelle Debatte informieren und mit den eingeladenen Experten in einen interdisziplinären Diskurs eintreten, an dem auch das Publikum beteiligt werden soll. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, wie im Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit der Organtransplantation und dem Schutz der Menschenwürde ein ethisch gebotener und verantwortungsvoller Umgang mit hirntoten Menschen aussehen kann.

Eine Teilnahme an der Veranstaltung ist für noch nicht angemeldete Personen wegen der großen Nachfrage und begrenzten Plätzen leider nicht mehr möglich. Die einzelnen Beiträge können aber bereits am Tag nach der Veranstaltung auf der Webseite des Ethikrates nachgehört und kurze Zeit später auch nachgelesen werden. Das ausführliche Programm gibt es hier beim Ethikrat.

Nierenlebendspende für Spender gefährlicher als ihr Ruf

Anlässlich des Weltnierentages am 8. März hat die „Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V.“ auf die gesundheitlichen Gefahren der Nierenlebendspende aufmerksam gemacht. Hintergrund ist die in den Medien immer wieder vertretene Ansicht, dass die Nierenlebendspende für den Spender gesundheitlich unbedenklich sei. Der SPD-Fraktionvorsitzende Frank-Walter Steinmeier hatte mit einer Nierenlebendspende an seine Frau vergangenes Jahr die Debatte um eine Neuregelung des Transplantationsgesetzes losgetreten, wodurch die Lebendspende als Alternative in die Diskussion gerückt ist. Hier sind bereits rechtliche Verbesserungen zur Regelung der Lebendspende in Planung.

In einer Pressemitteilung vom 12.03.12 (siehe ausführlich unten) führt der Verein, gegründet von betroffenen Lebendspendern, Empfängern und Unterstützern, zahlreiche Probleme in Zusammenhang mit Nierenlebendspenden an. Die Interessengemeinschaft fordert daher von der Politik, „die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, nach der eine Nierenlebendspende nur in streng eingeschränkter Form zwischen nahen Verwandten und emotional sich sehr nahe stehenden Personen möglich sein darf und ihr eine umfassende wissenschaftlich korrekte Aufklärung und äußerst gewissenhafte medizinische Abklärung der Eignung vorausgehen muss.“ Wirtschaftliches oder einseitiges medizinisches Interesse dürfe nicht über gesundheitliche und damit ethische Verantwortung gestellt werden, so der Verein.

Ergänzung vom 25.03.12: Friede, Freude, kleine Reiberei: Fraktionsübergreifende Einigkeit bei erster Bundestagberatung über Organspende-Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung

Am 22. März 2012 debattierten die Abgeordneten des Deutsche Bundestages in erster Lesung über zwei Gesetzentwürfe zur Änderung des Transplantationsgesetzes. Insgesamt war die Debatte geprägt von weitgehender Einigkeit und Selbstzufriedenheit mit den vorliegenden Texten. Die Frage des Hirntodes als Kriterium für eine Organentnahme wurde von allen Abgeordneten allenfalls am Rande erwähnt, wenn überhaupt. Ansonsten beherrschten weitgehend die Schlagworte „Lebensretter“, „Nächstenliebe“, „Verantwortung“, „Pflichtgefühl“, „Solidarität mit Kranken“, und „Selbstbestimmung“ die Debatte, verbunden mit der Forderung ein „starkes Signal“ zu setzen. Lediglich die mögliche Speicherung der Organspende-Entscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte sorgte für etwas Reibung.

Ausführliche Hintergundinfos mit Zitaten aus der Debatte und einer Presseschau finden Sie im folgenden Themenspecial.

Zum Themenspecial: Friede, Freude, kleine Reiberei – Fraktionsübergreifende Einigkeit bei erster Bundestagberatung über Organspende-Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung

Weiterführende Informationen:

siehe dazu die zur Diskussion stehenden Drucksachen:

Presse

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