26.01.20: Nach Bundestagsentscheidung zur Organspende: Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin (DIVI) fordert Nachbesserungen am Gesetz
Keine Woche nach Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereistchaft bei Organspende fordert die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin (DIVI) Nachbesserungen. Das beschlossene Gesetz hinke an einem ganz entscheidenden Punkt: Dem Zeitpunkt, an dem Mediziner und Familie Einsicht in die vom Patienten hinterlegte Entscheidung zur Organspende bekommen sollen, so die DIVI.
„Die Einsichtnahme in ein zukünftiges Register erst nach Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA) ist nicht praktikabel und widerspricht der gelebten Praxis der Patientenautonomie“, erklärte Professor Dr. Klaus Hahnenkamp, Direktor der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Greifswald, in einer Pressemitteilung vom 22.01.20. Der Sprecher der DIVI-Sektion Organspende und Organtransplantation, laut Selbstbeschreibung „die Stimme von knapp 3.000 auf diesem Gebiet der Medizin tätigen Menschen“, drängt auf eine Änderung des Gesetzentwurfes.
„Sobald der betreffende Patient keine Aussicht mehr auf Heilung hat und der IHA unmittelbar bevorsteht oder vermutet wird, aber noch nicht festgestellt ist, muss eine Einsichtnahme in das Register möglich sein“, bekräftigte auch DIVI-Präsident Professor Dr. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. Janssens spricht als Präsident wie auch als Sektionssprecher der Gruppe Ethik. „Wenn wir den Willen des Patienten erst zum derzeit festgelegten Todeszeitpunkt erfahren, können wir als Mediziner dem Wunsch des Patienten nicht entsprechen,“ ist Janssens überzeugt.
Der Ablauf einer Organspende könne in die Zeiträume vor der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls und nach der Feststellung eingeteilt werden. In der ersten Phase erkennt das Team aus den intensivmedizinisch behandelnden Ärztinnen und Ärzten, dass für einen Patienten keine Aussicht auf Heilung mehr besteht und dieser Patient ohne Spontan-Atmung mit akuter primärer oder sekundärer Hirnschädigung als Organspender in Betracht kommt. „Dieser Zeitraum vor Feststellung des IHA erscheint uns wesentlich komplizierter und entscheidender für die Verwirklichung von Organspenden“, so Hahnenkamp.
Therapie nach Wunsch des Patienten oder für die Aufrechterhaltung gesunder Organe?
In dieser Phase werden laut DIVI 30 Prozent der Visitenzeit auf einer deutschen Intensivstation für den Themenkomplex Therapielimitierung, Behandlungswillen und -auftrag, gemeinhin die Patientenautonomie, aufgewendet. Dies sei ein Ergebnis langjähriger Entwicklungsprozesse in der deutschen (Intensiv-)Medizin. „Bei uns stehen die Patientenautonomie und der Patientenwillen im Zentrum einer patientenzentrierten Versorgung und Betreuung“, so der Intensivmediziner.
Grundsätzlich stelle sich daher bei einem Patienten mit erwarteten oder vermuteten IHA die Frage, ob die Weiterführung intensivmedizinischer Maßnahmen bis zur Feststellung des Hirntodes überhaupt vom Patientenwillen gedeckt ist. „Denn alle intensivmedizinischen Maßnahmen dienen zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht mehr dem Zweck der Gesundung des Patienten, sondern einem Fremdzweck – der Spende von Organen“, erklärte Hahnenkamp.
Die Realisierung einer Organspende ist ohne die Aufrechterhaltung intensivmedizinischer Maßnahmen unmöglich. Denn ohne diese Behandlungsmaßnahmen wäre eine ausreichende Durchblutung der Organe nicht mehr sichergestellt. „Ergibt aber die Einsichtnahme in das geplante Register, dass der Patient eine Organspende ablehnt, würden die intensivmedizinischen Maßnahmen an diesem Punkt beendet und ein palliatives Konzept mit Sterbebegleitung umgesetzt werden“, erläuterte Hahnenkamp den Ablauf der Behandlung.
Zeitpunkt der Einsichtnahme in das Register wesentlich
Der Zeitpunkt der Einsichtnahme, der Erkenntnis „Was wünscht sich der Patient?“ sei wesentlich. Das Selbstbestimmungsrecht eines Patienten sei ein hohes und verpflichtendes Gut. „Die Einsichtnahme in ein zukünftiges Register erst nach Feststellung des Todes als Folge des IHA ist nicht praktikabel und widerspricht einem spenderzentrierten Vorgehen unter Berücksichtigung der elementar wichtigen Patientenautonomie und der gelebten Praxis in der Intensivmedizin“, so Janssens. Die DIVI fordert entsprechend, den Zeitpunkt der Einsichtnahme in das Register in der jetzt folgenden, weiteren Ausarbeitung des Gesetzesentwurfes vorzuverlegen. Konkret auf den Zeitpunkt des mutmaßlichen Hirnfunktionsausfalls.
Auch der medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Dr. med. Axel Rahmel unterstützt diese Forderungen. Er hatte in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ vom 13.01.20 unter Verweis auf die DIVI ebenfalls gefordert, dass Ärzte bereits vor der Hirntodfeststellung eine Einsicht in das Online-Register bekommen sollten. Auch er begründete dies mit den Problemen in Hinblick auf den Fortgang der medizinischen Behandlungen.
Ergänzende Informationen:
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WELT.DE 13.01.20
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