15.06.13: Nach Transplantationsskandalen: Deutscher Bundestag beschließt Verschärfung des Transplantationsgesetzes

15.06.13: Nach Transplantationsskandalen: Deutscher Bundestag beschließt Verschärfung des Transplantationsgesetzes

Der Deutsche Bundestag hat am 14.06.13 kurzfristig eine erneute Änderung des Transplantationsgesetzes beschlossen und Manipulation bei der Organvergabe unter Strafe gestellt.

Mit der von allen Fraktionen getragenen Änderung werden die Konsequenzen aus den bekannt gewordenen Manipulationen an Patientendaten an einzelnen Transplantationszentren gezogen. Vor dem Hintergrund der Skandale sind die Organspendezahlen in Deutschland massiv eingebrochen und das Vertrauen in das Transplantationssystem ins Wanken geraten.

Überblick über die Änderung des Transplantationsgesetzes vom 14.06.13

Änderungen des Transplantationsgesetzes vom 14.06.13

  1. Künftig ist die unrichtige Erhebung und Dokumentation sowie die Übermittlung eines unrichtigen Gesundheitszustandes der Patienten an Eurotransplant in der Absicht, Patienten auf der Warteliste zu bevorzugen, verboten. Der Verstoß gegen dieses Verbot wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bewehrt.
     

    „Durch die strafrechtliche Sanktionierung soll sichergestellt werden, dass bei der Führung der einheitlichen Wartelisten keine Manipulationen im Zusammenhang mit den Angaben zum Gesundheitszustand des Patienten vorgenommen werden. Hierdurch soll das Vertrauen in ein gerechtes Verteilungssystem zurück gewonnen und nachhaltig gestärkt werden“, heißt es in dem Papier.

  2. Zudem werden die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organtransplantation einer Begründungspflicht unterworfen und unter den Vorbehalt der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit gestellt.

    In der angenommenen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 12.06.13 heißt es dazu:

    „Zum besseren Verständnis und Transparenz der Richtlinien insbesondere in der Praxis bedürfen die Richtlinien einer Begründung. Im Zusammenhang mit der in Absatz 3 neu eingefügten Pflicht zur Genehmigung der Richtlinien durch das Bundesministerium für Gesundheit bedürfen die Richtlinien im Hinblick auf die jeweilige Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft einer nachvollziehbaren Darlegung.

    Auf diese Weise wird auch das Bundesministerium für Gesundheit in die Lage versetzt, im Rahmen der Genehmigung zu prüfen, ob die Bundesärztekammer den Beurteilungsspielraum angemessen gewürdigt hat und die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar ist. Dies ändert nichts an der insoweit gesetzlich zugewiesenen Verantwortung der Bundesärztekammer. Dies gilt auch hinsichtlich der in § 16 Absatz 1 Satz 2 Transplantationsgesetz enthaltenen Vermutensregelung.“

    Dieser Part bezüglich der „jeweiligen Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ dürfte eventuell noch interessant werden im Hinblick auf die anhaltende Kritik am Hirntod, dem Voraussetzungskriterium für eine Organentnahme.

Änderung des Transplantationsgesetzes im Omnibusverfahren

Die Neuregelung wurde im sogenannten Omnibusverfahren per gemeinsamen Änderungsantrag aller Fraktionen an das am selben Tag verabschiedete „Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der gesetzlichen Krankenversicherung“ angehängt. Dieses Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates und tritt am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft.

Bei der Abstimmung über den relevanten Artikel 5d zur Änderung des Transplantationsgesetzes in der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit herrschte ausnahmslos geschlossene Einigkeit, er wurde einstimmig angenommen. Allerdings enthielten sich die SPD- und die Linksfraktion bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Regierung zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden. In den Reden begründeten Fraktionssprecher von SPD und Linken dies mit Vorbehalten gegen das Gesetz an sich, jedoch nicht gegen die Neuregelung zur Organspende.

Vor Verabschiedung des Gesetzes hatten die Abgeordneten in einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium erbittert um eine gemeinsame Position gerungen. Insbesondere die Grünen forderten zahlreiche Verschärfungen. Das Ergebnis mündete im untenstehenden Antrag (Drucksache 17/13897) vom 11.06.13.

Zuletzt kursierte in den Medien die Befürchtung, dass der gefundene Kompromiss doch noch scheitern könnte, wenn die Neuregelung im Zuge des Omnibusverfahrens statt an das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden an das umstrittene Präventionsgesetz angehängt worden wäre. Das Präventionsgesetz hätte einer Zustimmung im Bundesrat erfordert und wäre dort mit hoher Wahrscheinlichkeit gescheitert – und damit auch die Neuregelung zur Organspende.

Zitate aus der Bundestags-Debatte zur Änderung des Transplantationsgesetzes

In der Plenardebatte am 14.06.13 wurde von den Abgeordneten der gefundene Kompromiss zur Verschärfung der Transplantationsregelung mehr oder weniger einhellig begrüßt (siehe dazu das Plenarprotokoll der Sitzung unten). Manche Abgeordnete gingen aber auch gar nicht darauf ein bzw erwähnten es nur kurz am Rande. Nachfolgend ein paar Zitate daraus.

D. BahrErster Redner war Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Er erklärte in seiner Rede zur Änderung des Trnsplantationsgesetzes: „Organspende ist aktive, gelebte Nächstenliebe. Organspender sind Lebensretter. Deswegen wollen wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass sich wieder mehr Menschen für die Organspende aussprechen. Es dürfen nicht diejenigen bestraft werden, die auf der Warteliste stehen und dringend auf ein Organ warten, sondern es muss der Arzt bestraft werden, der Fehlverhalten zeigt.“

SPD verärgert

Etwas verärgert über das „Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der gesetzlichen Krankenversicherung“ zeigte sich Dr. Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion. Nach herber Kritik an dem Gesetz erklärte er mit Blick auf die Änderung des Transplantationsgesetzes:

„Der einzige Ansatz in Ihrem Gesetz, weshalb wir uns später bei der Abstimmung zum Gesamtgesetz enthalten werden, ist die Organtransplantation, die Organspende; denn dabei sind wir mit Ihnen einer Meinung. Da respektieren wir auch Ihr persönliches Engagement. Das ist übergreifend und einigermaßen sauber gemacht. Das würdigen wir. Daher wollen wir, damit wir hier Schulter an Schulter stehen können, um denjenigen, die ein Organ benötigen, nicht zu schaden und das Vertrauen in das Spendeverfahren (…) nicht zu beschädigen, durch eine Enthaltung dieses Gesetz mittragen, das wir sonst nicht hätten mittragen können.“

Linke und Grüne: Gutes Ergebnis der intensiven Beratungen

K. VoglerKathrin Vogler von der Linksfraktion erklärte in ihrer Rede: „Vorgestern ist es uns in einer gemeinsamen Bemühung aller Fraktionen gelungen, erste Änderungen am Transplantationsgesetz zu vereinbaren. Vor einem Jahr wurden die Manipulationen an den Wartelisten für Lebertransplantationen bekannt; doch noch immer gehen viele Staatsanwälte und Operateure davon aus, dass eine solche Manipulation lediglich eine schriftliche Lüge sei und damit nicht strafbar. Mit der nun vorliegenden Gesetzesänderung wird klar: Eine Manipulation von Patientendaten mit der Absicht, die Warteliste zu beeinflussen, ist künftig auf jeden Fall strafbar. Das ist ein gutes Ergebnis der intensiven Beratungen unter den Fraktionen und mit dem Bundesministerium für Gesundheit“, so Vogler.

„Ich freue mich wirklich, dass diese Gesetzesänderung hier gemeinsam auf den Weg gebracht werden kann. Wir setzen damit ein deutliches Zeichen für mehr Transparenz und Kontrolle in diesem sensiblen Bereich. Über weitere Schritte auf diesem Weg werden wir in der übernächsten Woche noch diskutieren. Ich bin sicher, dieses Thema wird uns auch in der nächsten Wahlperiode beschäftigen.“

B. BenderZustimmung zur Verschärfung des Transplantationsgesetzes kam auch von Birgitt Bender von Bündnis 90 / Die Grünen. „Wir sind froh, dass Anliegen unserer Initiative in Verhandlungen mit den anderen Fraktionen aufgenommen wurden“, erklärte Bender. „Wir hätten es bei einigen Punkten besser gemacht, aber wegen der Punkte, die wir für positiv halten, werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen“, sagte Bender mit Blick auf die Gesamtinhalte des Gesetzes.

Zufriedenheit bei der FDP

Hoch zufrieden mit dem überfraktionell gefundenen Ergebnis zeigte sich auch Gabriele Molitor von der FDP-Fraktion: „Es ist schon etwas Besonderes, wenn sich Fachpolitiker aller Fraktionen zusammentun und sich gemeinsam mit Experten sowohl des Bundesgesundheitsministeriums als auch des Gesundheitssektors treffen, um Prozesse zu begleiten und Fehler zu beheben. Wir haben mögliche Gesetzgebungsbedarfe mit dem Ziel geprüft, das Vertrauen in die Organspende wiederherzustellen. Es ist in der Tat selten, dass man am Ende eine gemeinsame Initiative auf den Weg bringt, die dem Ziel dienen soll, schwerkranken Menschen zu helfen“, so Molitor.

„Dass wir den Antrag noch vor der Sommerpause hier einbringen, zeigt, dass uns dieses Thema besonders wichtig ist. Wir wollen, dass die Bereitschaft zur Organspende wieder wächst, wir wollen Vertrauen im Sinne der schwerkranken Menschen zurückgewinnen, und wir wollen, dass wieder mehr Menschen in Deutschland sagen: Ich bin Organpate.“

Kritik von der Deutsche Stiftung Patientenschutz: Strafrecht ersetzt keine Reform des Transplantationsrechts

E. BryschDie Deutsche Stiftung Patientenschutz (ehemals Deutsche Hospiz Stiftung) kritisierte dagegen die ergänzende Regelung zur Organtransplantation als unzureichend.

„Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag jetzt ein Instrument zur Bestrafung von Manipulationen an Patientendaten geschaffen hat. Bisher fehlte dieses strafrechtliche Mittel, mit dem die Politik seit Bekanntwerden der Skandale im Sommer 2012 den Ärzten drohte. Jedoch sind Zweifel angebracht, ob die neue Norm in der Praxis tatsächlich große Wirkung erzielen wird“, erklärte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch in einer Pressemitteilung vom 14. Juni.

Ebenso ändere Strafrecht nichts an den „grundlegenden Konstruktionsfehlern“ des deutschen Transplantationsrechts. „So werden weiterhin die Bürgerrechte der Schwerstkranken auf den Wartelisten missachtet. Es fehlt an Transparenz bei der Wartelistenentscheidung und Klarheit, welchen Rechtsweg Betroffene beschreiten können. Wartelistenentscheidungen unterliegen nicht allein medizinischen, sondern ebenso sozialen und kulturellen Aspekten. Darunter fallen auch die Fähigkeit, die deutsche Sprache zu sprechen oder das Verhalten von Angehörigen“, kritisierte Brysch.

Der Genehmigungsvorbehalt des Gesundheitsministeriums für die Richtlinien der Bundesärztekammer zu den entscheidenden Kriterien im Transplantationsrecht verbessere für die Menschen in der Praxis nichts. „Es kann nicht sein, dass private Organisationen die Regeln festsetzen, ausführen und sich selbst dabei überwachen. Deshalb ist es an der Zeit, dass der Staat die Verantwortung für Entscheidungen über Leben und Tod selbst übernimmt“, forderte der Patientenschützer.

Weiterführende Informationen:

Presseschau zur Bundestagsentscheidung zur Änderung des Transplantaionsgesetzes

Ergänzend finden Sie in einer Presseschau chronologisch sortiert ausgewählte verlinkte Beiträge zur Debatte um eine neuerliche Änderung des Transplantationsgesetzes.

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