Illustration Debatte um Entscheidungslösung bei Organspenden

02.07.11: Gesundheitsministerkonferenz und Sachverständige für Entscheidungslösung bei Organspende

02.07.11: Gesundheitsministerkonferenz und Sachverständige für Entscheidungslösung bei Organspende

Bild OrgantransplantationIn der Debatte um eine Änderung der Organspenderegelung zeichnet sich auf politischer Ebene die sogenannte Entscheidungslösung als Favorit ab.

Bei der jährlichen Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am 29. und 30.06.11 in Frankfurt am Main unter dem Vorsitz des Hessischen Sozialministers Stefan Grüttner sprachen sich die Ministerinnen und Minister sowie Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Bundesländer einstimmig für die Entscheidungslösung aus. Dies teilte das Hessische Gesundheitsministerium in einer Presseerklärung vom 29.06.11 mit.

Derzeit gilt in Deutschland die sogenannte „erweiterte Zustimmungslösung“. Das heißt, eine Organentnahme ist nur bei Menschen gestattet, die zu Lebzeiten dem ausdrücklich zugestimmt haben und bei denen der Hirntod festgestellt wurde. Sofern keine Einwilligung vorliegt, sollen Angehörige nach dem mutmaßlichen Willen über die Frage einer Organentnahme entscheiden. Nach vorliegenden Untersuchungen in den vergangenen Jahren werden in ca. 94 Prozent der Fälle Organentnahmen nach Zustimmung der Angehörigen vorgenommen.

Konkret soll nach dem Willen der Länderchefs die derzeitige erweiterte Zustimmungslösung in eine Erklärungslösung umgewandelt werden. Demnach sollen die Bürgerinnen und Bürger in einem noch festzulegenden Verfahren über Organspende informiert und zu einer persönlichen Erklärung aufgefordert werden, ob sie einer Organspende zustimmen, sie ablehnen oder sich nicht erklären möchten. Offen ist, welche Behörde die Bürger nach ihrer Entscheidung fragen soll. Die Frage könnte zum Beispiel bei Beantragung eines Führerscheins oder Ausweises gestellt werden.

Bei unterbliebener Erklärung soll eine Organentnahme bei einem potenziellen Organspender erlaubt sein, sofern die Angehörigen zustimmen. „Mit der einstimmigen Forderung einer Erklärungslösung setzen die Länder ein Zeichen, dass sich bei der Organspende nun rasch etwas tun muss“, erklärte der GMK-Vorsitzende Grüttner. Um die Organspendesituation nachhaltig zu verbessern, müsste darüber hinaus ein ganzes Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht werden, betonte er. Es gehe vor allem darum, die Krankenhäuser mehr mit einzubeziehen. "Hier muss im Transplantationsgesetz für eine Verbesserung des strukturellen und organisatorischen Ablaufs bei der Organspende gesorgt werden", so der Minister.

Klare Ablehnung der Widerspruchsregelung

Die von Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und Saarland eingebrachte erweiterte Widerspruchslösung wurde mit breiter Mehrheit abgelehnt. Sie war im Vorfeld der Konferenz vom bayerische CSU-Minister Markus Söder angeregt worden. Söder hatte dazu einen Gesetzentwurf mit Hessen initiiert. Die Chancen für einen Wechsel zur sogenannten "Widerspruchslösung" stünden gut, sagte Söder noch am 19.06.11 gegenüber dem Magazin Focus.

"Die Widerspruchslösung ist ein Vorschlag, der sehr tiefgreifende ethische Bedenken mit sich bringt. Sie geht von einer generellen Zustimmung zur Organspende nach dem Tod aus, wenn man ihr nicht ausdrücklich widerspricht. Der Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht geht ihr und der Mehrheit der GMK zu weit", erklärte die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer in einer Pressemitteilung. Die Ministerinnen und Minister seien sich aber genauso einig, dass es auch den kranken Menschen gegenüber eine ethische Verantwortung gibt. Die Erklärungslösung nehme diese Verantwortung "in sorgfältiger Abwägung mit dem Selbstbestimmungsrecht" auf. Auch nähme diese Lösung die Last von Angehörigen, nach einem plötzlichen Todesfall über Organspenden entscheiden zu müssen, wie es jetzt oft der Fall sei, unterstrich Dreyer.

Kritik der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung an Entscheidungslösung

Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz StiftungScharfe Kritik an dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz übte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in Berlin. "Für die Bevölkerung ist das Transplantationssystem in Deutschland undurchsichtig. Statt Klarheit in das System zu bringen, wollen die Gesundheitsminister in Frankfurt die ethischen Leitplanken verschieben. Dabei werden die Möglichkeiten des bestehenden Transplantationsgesetzes schon jetzt in der Praxis nicht konsequent ausgeschöpft", erklärte Brysch in einer Pressemitteilung vom 29.06.11

Mit Schuld daran seien auch die Ärzte. Ebenso sei die Bevölkerung nicht aufgeklärt über die Hirntodkriterien und das Verfahren der Organentnahme und -vergabe. "Über die Verteilung von Lebenschancen entscheiden private Organisationen, die nicht unter staatlicher Aufsicht stehen. Das ist eine verfassungsrechtliche Grauzone, die die Politik zu verantworten hat", kritisierte Brysch. Deshalb fordert die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung zuallererst, dass Ärzte ihren schon bestehenden Aufgaben im Transplantationsgesetz nachkommen. Von der Politik fordert sie, Mittel bereit zu stellen, um Aufklärung und Information für selbst bestimmte Entscheidungen für Organspende erst möglich zu machen.

Bundestagsanhörung zu ethischen und rechtlichen Fragen der Organspende

Zu einer möglichen Neuregelung des Transplantationsgesetzes führte der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages am 29.06.11 eine dreistündige öffentliche Anhörung über die rechtlichen und ethischen Aspekte von Organspenden durch. Zu der Veranstaltung waren 14 Sachverständige geladen. In der Anhörung ging es u. a. um Fragen zu der von den beiden Vorsitzenden der Unions- und SPD-Fraktion, Volker Kauder und Frank-Walter Steinmeier eingebrachten Entscheidungslösung sowie um Fragen zu einer möglichen Widerspruchsregelung.

In der Anhörung sprachen sich laut Bundestagspressestelle u. a. der ärztliche Direktor des Universitätsklinikums, Eckhard Nagel, und der der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, für eine so genannte Entscheidungslösung aus. Ein Entscheidungszwang wurde jedoch abgelehnt. Die Widerspruchsregelung fand dagegen kaum Anklang.

Die Gastprofessorin am Institut für Soziologie der Technischen Universität Darmstadt, Alexandra Manzei, erinnerte dem Bericht zufolge in der Anhörung daran, dass im Vorfeld der Transplantationsgesetzgebung von 1997 höchst umstritten gewesen sei, wann der Tod eintritt und mit welchen Mitteln er sich feststellen lässt. Angesichts neuer medizinischer Studien stehe das der Zustimmungslösung zugrunde liegende Hirntodkonzept erneut in Frage. Sie forderte, die Bundesärztekammer (BÄK) solle daher die Kriterien der Hirntodfeststellung überprüfen. Sowohl der Münchner Hirntod-Experte Heinz Angstwurm als auch der BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery widersprachen deutlich. Angstwurm betonte, es gebe "keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse".

In einer ersten Anhörung zum Thema Organspende am 08.06.11 war es bereits um technische und organisatorische Aspekte gegangen. Dabei stand eine vom Bundeskabinett beschlossene Änderung des Transplantationsgesetzes im Mittelpunkt, mit der eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden soll.

Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung geplant

Medienberichten zufolge wollen die beiden Vorsitzenden der Unions- und SPD-Fraktion, Volker Kauder und Frank-Walter Steinmeier nun bald einen Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung einbringen. Details sind noch unklar. Im Gespräch ist den Berichten zufolge auch ein öffentliches Register für Organspenden.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, schlägt in einer Pressemitteilung vom 01.07.11 vor, die Bereitschaft zur Organspende in der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) zu speichern. "Die elektronische Gesundheitskarte hat gegenüber anderen denkbaren Lösungen den Vorteil, dass die sensible Information über die Bereitschaft zur Organspende verschlüsselt gespeichert werden kann. In Notfallsituationen würden Ärzte und Sanitäter sofort erfahren, ob jemand ein Organspender ist. Eine zentrale Datenbank wäre damit genauso überflüssig wie ein von jedermann lesbarer Ausweis, der bei Verlust missbraucht werden könnte".

Einen zentralen Vorteil der eGK sehe er auch darin, dass nicht etwa Meldebehörden die Bürgerinnen und Bürger nach ihrer höchstpersönlichen Entscheidung fragen müssten, sondern dies durch die Krankenkassen bei der Ausstellung der eGK erfolgen kann. Voraussetzung sei aber natürlich eine entsprechende gesetzliche Änderung der Vorschriften der eGK, erklärte Schaar.

Der Unionsabgeordnete Johannes Singhammer warnte dagegen vor einem Entscheidungsdruck. Er sieht in der Organspende "eine zutiefst persönliche Entscheidung". Im Gespräch mit der Berliner Zeitung vom 29.06.11 fordert Singhammer eine intensive Debatte zu dem Thema, insbesondere über den Hirntod als Kriterium für eine Organentnahme. Denn aus der Wissenschaft kämen Zweifel, ob der Hirntod noch als Definition des Todes gelten kann. "Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte, wann ein Mensch tot ist, und zwar sehr offen und ohne Tabus. Ansonsten werden wir die Ängste, die viele beim Thema Organspende haben, nicht abbauen können. Und das ist Voraussetzung dafür, mehr Organspender zu gewinnen", gab Singhammer zu bedenken.

Weiterführende Informationen:

Pressespiegel

Ergänzend finden Sie in einer Presseschau eine Auswahl an Meldungen zur Debatte um die Einführung einer Widerspruchsregelung / Zwangserklärungsregelung bei Organspenden. Dieser Pressespiegel wird weiter ergänzt, sofern sich Neues ergibt.

Nach oben